Prof. Harald Riedel:
Systemische Didaktik

Beispiel unbewusste Imitation

Beispiele zur unbewussten Imitation:

1. Empirische Untersuchungen


Wie wirksam die unbewusste Imitation beobachteten Verhaltens ist, geht aus vielen empirischen Untersuchungen zum sozialen Lernen hervor.

  • M. BAUER (1979, S. 42 ff ) schildert einen Versuch, bei dem allein das  Nebeneinandersetzen von „hoch-
    ängstlichen“ und „niedrig-ängstlichen“ Kindern dazu führte, dass die „hoch-ängstlichen“ ihre Angst verloren.
  • R. und A. M. TAUSCH (1973, S. 52-66) berichten aus Untersuchungen in Kindergärten und Schulen, wie Versuchspersonen  Aspekte sozialen Verhaltens, Bevorzugungen von Geschmacksrichtungen, äußere Umgangsformen und subjektive Urteile von Gruppenmitgliedern  unbewusst übernehmen.
  • F. W. KRON (1991, S. 242) nennt andere Bereiche, in denen die unbewusste Imitation (zumindest als Basis für darauf aufbauende Konditionierungs-Prozesse) von großer Bedeutung ist, z.B. Achtung anderer Personen, Wertschätzung eines bestimmten Gegenstandsbereiches, Haltung gegenüber Klassenkameraden und Lehrer, Arbeitsfreude, Pünktlichkeit oder Umgang mit fremdem Besitz. 
  • H. AEBLI beschreibt die Wichtigkeit der unbewussten Imitation im Hinblick auf die Motivierung von Schülern: „Ganz allgemein ist hier darauf hinzuweisen, dass Motivation ansteckt. Das ist leicht verständlich, wenn wir uns erinnern, dass Motivation Aktivation bedeutet und dass sich alle Arten von Erregung unter Menschen leicht ausbreiten. Man denke nur an die Ausbreitung von Panik in Menschenmassen. Hier haben wir eine freundliche und ungefährliche Variante des gleichen Vorgangs vor uns. Das Interesse und die entsprechende Aktivation des Lehrers und der ersten von ihm angesteckten Schüler breitet sich auf die übrigen Schüler aus."

2.  Anwendbarkeit

 

All diese Befunde entsprechen dem Wissen, das im „gesunden Menschenverstand“ aufgehoben ist. Aber Lehrer und Erzieher sollten etwas mehr darüber wissen. Sie sollten beispielsweise unterscheiden lernen,

  • in welchen Bereichen sie ihr Verhalten selbst hinreichend steuern können, um als Vorbild dienen zu können:
    Lehrende können ihre Sprache, ihr Arbeitsverhalten, den Umgangston gegenüber ihren Schülern und vieles anderes mehr gezielt, bewusst und willentlich verändern, um vorbildlich und als Modell zu wirken
  • und in welchen Bereichen ihnen dies nicht möglich ist:
    Zwar sind „witzige“ und „lockere“ Lehrer meist sehr beliebt, doch lässt sich Humor nicht willentlich lernen, so dass nicht wenige Lehrer Gefahr laufen, sich ironisch oder gar sarkastisch zu verhalten, anstatt sich humorvoll zu geben.

     

3.  Wirksamkeit

 

Die  Wirksamkeit des Lernens durch unbewußte Imitation wird  nach  F. KRON  u.a. durch folgende Bedingungen erhöht:

  • das Modell besitzt aus der Sicht des Lernenden einen hohen sozialen Status
    („Autoritätspersonen“ wie Eltern oder manche Lehrer oder in der Öffentlichkeit bekannte „Stars“ aus Sport oder Fernsehen).
  • Lernender und Modell ähneln sich in bestimmter Hinsicht, beispielsweise hinsichtlich des Geschlechts, des Temperaments oder der Freizeitbeschäftigung.
  • Der Lernende hat noch kein sehr hohes Selbstvertrauen ausgebildet .

4.  Sprache

 

Den Wert der unbewussten Imitation beim Erlernen der Sprache ist bekannt. Er wirkt sich dabei auf verschiedenen Ebenen aus:

  • Die Stimmführung des Hamburgers oder die besondere Lautung der Sachsen wird zwar von Komikern und „Imitatoren“ bewusst nachgeahmt, vom Einheimischen aber unbewusst erlernt und bleibt den meisten auch unbewusst, solange Außenstehende sie nicht darauf aufmerksam machen oder sie ihre Stimme von einem Tonträger hören.
  • Die schnelle Verbreitung sog. „Modewörter“  wie „super“ oder „geil“ oder „mega“ ist wohl dadurch zu erklären, dass sie zunächst eher unbewusst imitiert werden, was sich z. B. darin zeigt, dass sie auch in semantisch eigentlich nicht passenden Zusammenhängen verwendet werden.
  • Die eher bildhafte Sprache einfacherer Sozialschichten ist ein Hinweis darauf, dass auch die Wortwahl zu erheblichen Teilen unbewusst erfolgt.