Prof. Harald Riedel:
Systemische Didaktik

Beispiel aufgaben-gesteuertes Lernen

Stellen wir uns den Lernenden als einen fortgeschrittenen Bergsteiger vor, der psychisch und physisch alle Voraussetzungen erfüllt, um auch schwierigere Passagen einer Bergtour zu bewältigen, der auch bereits einige Erfahrungen besitzt, sich aber noch nicht ohne den Rat eines Bergführers in die Hochalpen wagt.

Den Führer benötigt er vor allem dazu, im voraus Gefahrenmomente und Schwierigkeiten zu erkennen und Entscheidungen zu treffen, welche Abschnitte des Massivs in welcher Folge bewältigt werden sollen. Für die Besteigung der einzelnen Passagen benötigt unser Bergsteiger keinerlei Hilfe mehr, er ist aber nicht in der Lage, selbst den gesamten Weg zum Gipfel unter Einbeziehung der verschieden schwierigen Hindernisse vorweg zu bedenken. Er macht zwar entsprechende Vorschläge, die Entscheidungen werden aber schließlich doch vom Führer getroffen und begründet.

Wenn der Bergsteiger den Gipfel erklommen hat, wird sich der Bergwanderer zwar an besonders schöne oder anstrengende Abschnitte erinnern. Es muss aber nicht sein, dass er auch rekonstruieren kann, warum der Bergführer an welcher Stelle welchen Weg vorgeschlagen hat.

Übertragen wir das Bild auf schulisches Lernen:

  • Der Lernende befindet sich schon im Stadium des Fortgeschrittenen.
  • Er bringt schon genügend Erfahrung und Können mit, um bestimmte Aufgaben selbständig zu lösen.
  • Der Lehrende jedoch bestimmt durch die Abfolge einzelner Aufgaben und Operations-Objekte, welcher Art die Operations-Ziele sind, die der Lernende nacheinander erreichen soll.
  • Er gibt also durch die Folge der Operations-Ziele den Weg des Lernens vor.
  • Im Gegensatz zum nachvollziehenden Lernen sind die vom Lernenden zu vollziehenden Intern-Operationen anspruchsvoller: Kogneszierende bzw. re-produzierende Operationen reichen nicht mehr aus, der Lernende muss produzierende Operationen am Operations-Objekt vollziehen.
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Beispiele zur bewussten Imitation als aufgaben-gesteuertes Lernen:

StromkreisAufgabenGesteuert

1. Elektrische Leiter und Nicht-Leiter


Gehen wir von dem fiktiven Anfangszustand aus, Schüler einer 4. Klasse hätten im vorange-gangenen Unterricht gelernt, dass das Aufleuchten einer Glühlampe als Anzeige für den Stromfluß in einem Stromkreis dienen kann, und wie man den Stromkreis unterbrechen kann. Nacheinander werden die folgenden Unterrichtssituationen realisiert:

(vgl. dazu, wie das gleiche Unterrichts-Objekt nachvollziehend gelernt wird)

1. Die Schüler sitzen an sieben Tischen zu je vier Lernenden. Auf den Tischen befinden sich leitende und nicht-
leitende Gegenstände. Die Lehrerin lässt den Schülern zunächst Zeit, mit dem Mate-rial frei zu hantieren. Als eine Gruppe sich, wie von der Lehrerin erhofft, mit der Leitfähigkeit der Materialien zu beschäftigen beginnt, nimmt sie dies zum Anlass, einen Auftrag für alle Schüler zu formulieren: Sie sollen in Kleingruppen herausfinden, welche der auf dem Tisch liegenden Gegenstände den Strom leiten, welche nicht. In den Gruppen unterhalten sich die Schüler darüber, wie sie entsprechende Versuche aufbauen wollen, wie einzelne Gegenstände in den Stromkreis eingefügt werden können, in welcher Reihenfolge dies geschehen soll, wer die einzelnen Resultate notiert usw. .

2. Die Lehrerin erteilt den Auftrag zu überlegen, welche Materialien verwendet werden können, um einen Schalter zum Öffnen bzw. Schließen eines Stromkreises zu bauen.

3. Die Schüler sollen anschließend Vorschläge entwickeln, wie der Schalter aufgebaut werden kann, und stellen jeweils einen Schalter her.

4. Die Schüler sollen sich möglichst viele verschiedene Einsatzmöglichkeiten elektrischer Leiter und Nicht-Leiter im Haushalt ausdenken.

 

Die Lernenden leisten in diesem Fall eine Reihe produzierender Operationen. Sie müssen

  • konvergent denken, um den Versuchsaufbau zu gestalten,
  • die Versuche auswerten, um die Leitfähigkeit der Materialien heraus-zufin-den,
  • die Ergebnisse auswertend anwenden, um die Materialien für den Schalter zu bestimmen,
  • mindestens konvergent denken, um den Schalter zu entwerfen
  • sowie divergent denken, um verschiedene neue Anwendungsmöglichkeiten zu finden.

 

 In diesen Intern-Operationen zeigt sich der wesentliche Unterschied hinsichtlich der Selbständigkeit gegenüber dem nachvollziehenden Lernen desselben Unterrichts-Objekts, in dem die Schüler nur nachvollziehend lernen durften. Hinsichtlich der externen Operationen unterscheidet sich das Beispiel dagegen nicht vom ersten Fall. 

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2. “Höhenlinien 2”

Die Schüler erhalten nach einer geeigneten Einführung, am besten in Form einer Problem-Stellung, die sich beispielsweise anlässlich einer Wanderung durch  bergiges Gebiet ergibt, eine Folge von Aufträgen. Sie sollen nacheinander folgende Schritte selbständig ausführen:

  • Plastilinplatten verschiedener Farben übereinander stapeln und zu einem Block zusammenzufügen, 
  • anschließend einen „Berg“ mit einem flacheren und einem steileren Abhang daraus schneiden, 
  • eine Glasplatte über den „Berg“ legen  und mit geeigneten Filzstiften die (durch die senkrechte Projektion sichtbaren) „Höhenlinien“ nachzeichnen,
  • die Bereiche zwischen den Höhenlinien entsprechend den Farben der Plastilinschichten färben,
  • die Höhenlinien auf Transparentpapier übertragen,
  • die gewonnenen Kenntnisse auf eine einfache Karte mit Höhenlinien anwenden.
HöhenlinienAufgabengesteuert
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