Prof. Harald Riedel:
Systemische Didaktik

Beispiel problem-gesteuertes Lernen

 

Beim aufgaben-gesteuerten Lernen ist dem Lernenden ein (guter, gangbarer, erprobter) Weg entweder schon bekannt, oder er wird ihm vorgegeben.

Beim problem-gesteuerten Lernen dagegen muss der Lernende einen ihm bis dahin noch nicht bekannten oder erkennbaren Lösungs-Weg „entdecken“. Dabei verdecken Hindernisse verschiedener Art    den direkten Blick auf das Ziel. Der Lernende muss die  Hinder-nisse überwinden oder umgehen , bis er einen gangbaren Weg gefunden hat.

AufgabeUndProblem

1. Bergsteiger - Gleichnis

 

Hat sich unser Bergsteiger zu einem wahren Könner entwickelt, so wird er sich auch ohne den Rat eines Bergführers in die Hochalpen wagen. Angesichts eines vor ihm liegenden Gipfels wird er ohne Hilfe seinen Weg selbständig vorausplanen. Er wird seine bisherigen Erfahrungen einbeziehen, wird aber auch nach für ihn völlig neuen Wegstrecken suchen müssen und unbekannte Hindernisse und Gefahrenstellen selbständig meistern

2. “Elektrische Leiter und Nichtleiter,  problem-gesteuert”

 

Konkretisieren wir den Fall des problem-gesteuerten Lernens ebenfalls an unserem Beispiel der elektrischen Leiter bzw. Nicht-Leiter:
 
Im Beispiel für aufgaben-gesteuertes Lernen hatte die Lehrende die Lernenden zwar selbständig „Versuche“, also produzierende Operationen an den Operations-Objekten, durchführen lassen. Doch hatte sie die Schüler von einem Operations-Ziel zum nächsten geführt, indem sie ihnen eine Folge ständig schwierigerer Aufgaben stellte. Aufgrund dieser  Führung konnte die Lehrende erwarten, dass die Lernenden sicher zum Ziel gelangten.
 
 
Nehmen wir nun für den problem-gesteuerten Unterricht an, dass sie auf diese Art der Führung vollständig verzichtet und die Lernenden zu Beginn des Unterrichts lediglich mit einer Problemstellung konfrontiert:

Sie macht die Schüler während des Umgangs mit einem „Verkehrsspiel“ darauf aufmerksam, dass das Spiel weitaus interessanter wäre, wenn man eine Ampel zur Verfügung hätte, die von Grün auf Gelb oder Rot umgeschaltet werden könnte.

Ab hier wird die selbständige Entwicklung einer entsprechenden Apparatur seitens der Lernenden abgewartet, beispielsweise mittels einer rotierenden Konservendose, die wechselweise mit einer Kunststoff-Folie beklebt wird

(vgl. dazu, wie das gleiche Unterrichts-Objekt nachvollziehend oder aufgaben-gesteuert gelernt wird).

Ampelkreuzung1 AmpelWechselschaltung1

Die Aufgabe der Lehrerin besteht in diesem Fall nur darin, dass sie den Schülern ein wünschenswertes Ziel bzw. eine dieses Ziel konkretisierende Problemstellung vorgibt.

Die Problemstellung übernimmt die notwendige Führung in Richtung auf das Unterrichts-Ziel.

Bildlich gesprochen deutet die Lehrerin also auf den Berggipfel, den es zu erreichen gilt.

Den Schülern muss anfangs nicht einmal bewusst werden, dass das zu erwerbende Unterrichts-Objekt „elektrische Leiter bzw. Nicht-Leiter“ eine wichtige Grundlage für die Konstruktion der gewünschten Ampel darstellt.

Die Problemstellung repräsentiert also das Unterrichts-Objekt, ohne dass dies direkt ausgesprochen wird. 

Diese Art des Unterrichts wird im Vergleich zum aufgaben-gesteuerten Unterricht nicht nur für die Lernenden schwieriger. Auch die Lehrenden müssen Leistungen vollbringen, die bei nachvollziehendem oder aufgaben-
gesteuertem Unterricht nicht erforderlich sind:

  • Der Lehrende muss sich eine geeignete Problemstellung ausdenken. Das fällt nach meiner Erfahrung den meisten Lehrenden oder Studierenden anfangs sehr schwer, weil sie hierbei kaum auf frühere Erfahrungen zurückgreifen können und weil sie häufig selbst divergent denken müssen.
  • Unserer erfahrenen Lehrerin gelingt dies, weil sie zuvor das Verkehrsspiel hat spielen lassen. Nicht immer wird es so einfach sein, aber es wird immer darauf ankommen, Problemstellungen zu finden, die das Alltagsleben der Lernenden berühren. Allein die Frage oder die Aufgabe, eine Schaltung für eine Ampel zu entwickeln, wird nur bei wenigen Lernenden die notwendige Bereitschaft zum „Suchen und Forschen“ auslösen.
  • Er kann den Lösungsweg, den verschiedene Lernende gehen werden, nicht vollständig voraussehen. Er kann nur vorausplanen, welcher Art die wichtigsten Hindernisse sein werden.
  • Obwohl die Lernenden in ihren Wohnzimmern täglich Wechselschalter bedienen, kennen sie bislang ihre Funktion nicht. Sie wissen nur, wie Ein-Aus-Schaltern funktionieren.
    So muss auch die Lösung mit Hilfe einer Verzweigung mit je einem Ein-Aus-Schalter  anerkannt werden, obwohl sie technisch sehr umständlich ist.
    Keinesfalls darf erwartet werden, dass die Lernenden von sich aus, ohne Hilfe, auf die Lösung einer rotierenden Walze kommen werden. Dazu ist die Problemstellung zu „offen“.
  • Damit die Lernenden diese Hindernisse bewältigen können, muss er geeignete Hilfen vorbereiten, die so gestaffelt sind, dass die Lernenden nicht sofort direkt auf das Unterrichts-Ziel bzw. die Problemlösung geführt werden. Denn das käme ja einem sofortigen Umschalten auf die niedrigere Stufe des aufgaben-gesteuerten Unterrichts gleich. H. AEBLI (1962) hat für diese Hilfen den Begriff der „Minimalen Hilfe“ geprägt.   Minimale Hilfen werden in einer Reihenfolge angeboten, die dem Prinzip des aufgaben-gesteuerten Lernens „vom Leichten zum Schweren“ entgegengesetzt sind, um den Lernenden auf dem Weg „vom Schweren zum Leichten“ möglichst viel Raum für anspruchsvolle Operationen offen zu lassen. Es geht darum, die Schwierigkeitsstufe schrittweise zu verringern.

Wie eine Folge solcher Hilfen beschaffen sein kann, zeigt die Seite “Minimale Hilfe”

grün

Weitere Beispiele zum problem-gesteueren Lernen
s. Beispiele zum Relationen-Transfer und zum Elementen-Transfer

grün

Ü