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Prof. Harald Riedel: Systemische Didaktik
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1. Ein verbreitetes, aber nutzloses ein-dimensionales Modell von K. LEWIN
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Leider verführt uns der “gesunde Menschenverstand” gern zu ein-dimensionalem Denken. Obwohl entsprechende Schemata wenig Erklärungswert haben, sind sie weit verbreitet. Beispiele dafür sind
- in der Politik LINKS - RECHTS - Schema,
- oder in Wissenschaft und Technik das THEORIE - PRAXIS - Schema.
Auch in der Erziehungswissenschaft finden sich ähnliche bipolare Schemata.
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Ein extremes Beispiel stellt die folgende simplifizierenden Vorstellungen von “autoritärem” und “sozial-integrtativem” Erziehungsstil dar:
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KRITIK
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Welcher Lehrer ließe sich wohl in den linken Kasten stecken?
Jeder Lehrer wird in bestimmten Situationen anweisen und befehlen; er sollte die Anweisungen aber auch begünden .
Auch wenn man den Lernenden nicht als Untergebenen betrachtet, wird man ihn nicht immer als gleichberechtigten Partner behandeln können.
Auch wird ein “sozial-integrativer” Lehrer nicht auf Einzelunterricht verzichten können.
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Tatsächlich ist diese Gegenüberstellung eine Vereinfachung einer aus den 1930iger Jahren stammenden Unterscheidung dreier Stile durch K. LEWIN, nämlich des “autoritären”, des “laissez-faire“ und des “demokratischen” Erziehungsstils, wobei später durch A. und R. TAUSCH “demokratisch” in “sozial-integrativ” umbenannt wurde.
Verursacht wurde die Vereinfachung, weil der “laissez-faire”-Stil zu Recht als völlig sinnlos im Schulunterricht betrachtet wurde.
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Wer nach differenzierteren Modellen von Erziehungsstilen in der Literatur oder im Internet sucht, dem begegnet heute eine Vielzahl von Typen , die wenig trennscharf und damit eher verwirrend sind, wie es das nebenstehende Bild andeutet.
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2. Ein zwei-dimensionales Modell und Erweiterung
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Das Sammelsurium der abgebildeten Erziehungsstile ist auf zwei Erziehungs-Psychologen zurückzuführen:
- D. BAUMRIND versuchte, Erziehungstile nach den zwei Dimensionen
- “Ausmaß der Lenkung” - und “Wärme / Zuneigung” (des Erziehers) zu ordnen.
- Nach Ergänzung der so entstandenen 4 Erziehungstile durch 4 weitere (autokratisch, egalitär, negierend und flexible) durch G. H. Elder kam dann die obige, kaum sinnvoll zu ordnende Anhäufung von Erziehungsstilen zustande.
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Ein WIKIPEDIA-Autor versucht allerdings, den Begriffshaufen zu gliedern, indem er den 4 Stilen nach Baumrind die Ergänzungen von Elder unterordnet und die wichtigsten Merkmale der jeweiligen Stile beschreibt.
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Kritik:
- allein die Begriffe “autoritär”, “autokatisch” und “autoritativ”, letzterer sogar gleichgesetzt mit “sozial-integrativ” (Quelle) machen das Schema unverständlich.
- Soll man den Stil “laissez-faire” eher ins blaue oder ins darüberliegende rote Feld setzen? Lässt man ein Kind, das man liebt, machen, was es will?
- Der Stil “egalitär” vernachlässigt tatsächlich etwas Wichtiges, nämlich den unterschiedlichen Grad an Enkulturatioin und Personalisation von Erzieher und zu Erziehendem.
Jedoch enthält er Aspekte, deretwegen er mit dem “demokratischen” Stil in Beziehung zu setzen ist. Beide Stile aber scheinen sich hier diametral gegenüberzustehen
- Der Erziehungsstil “flexibel” “...fordert, die jeweils richtige Erziehungsmaßnahme situationsabhängig abzuleiten”. Damit ist er gar kein Erziehungsstil im Sinne “einer durchgängigen erzieherischen Grundhaltung”.
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Die genannten Argumente zeigen bereits, dass auch der Versuch, die aufgeführten Erziehungsstile auf der Grundlage des bipolaren Modells von Baumrind zu ordnen, die Verwirrung keineswegs verringert. Keinesfalls aber sind sie geeignet, um Lehrern oder Erziehern zu helfen ihre eigene Position in Fragen ihres Erziehungsstils zu gewinnen.
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3. Vier Paare von Erziehungsstilen nach E. SPRANGER
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Vielleicht genügen zwei Dimensionen nicht,
um Erziehungsstile geordnet zu erfassen?
Zwei Ansätze in dieser Richtung existierten bereits:
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A. und R. TAUSCH beantworten die Frage konstruktiv, in dem sie den beiden obigen, von ihnen allerdings umbenannten Dimensionen “Ausmaß der Lenkung” und “sozial-emotionale Zuwendung” eine dritte hinzufügten, den Grad an “anregender Aktivität”. Jedoch sind die Ausführungen zur 1. und 3. Dimension wenig trennscharf.
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Älter, aber weiterführender ist ein Ansatz von
E. SPRANGER
über “Grundstile der Erziehung”. Er beschreibt 4 Paare von Erziehungsstilen, die auch heute nichts von ihrer Bedeutung verloren haben
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SPRANGER, E. (Das Gesetz der ungewollten Nebenwirkungen in der Erziehung. Quelle und Meyer, Heidelberg, 1962, S. 40) schreibt:
“Unter „Grundstilen der Erziehung" verstehe ich Rahmenplanungen, durch die die Organisation und der Geist eines Erziehungsganzen bestimmt wird. Sie lassen sich zweckmäßig als Alternativen formulieren, zwischen denen der Erziehungsgestalter wählen kann, ohne „von vornherein" falsch zu verfahren. Das heißt: auf jeder der beiden Seiten liegt ein berechtigter pädagogischer Gedanke.....
....Jeder These entspricht eine Antithese, die auch etwas Berechtigtes in sich hat: man muß sich aber für eine von beiden Seiten entscheiden, wenn man handeln will.”
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Die folgenden thesenartigen Zitate von SPRANGER skizzieren die vier alternativen Stil-Paare.
Eine ausführlichere Zusammenstellung enthält folgende Tabelle
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inselhafter (isolierender) Stil
Die Jugend bedarf in ihrer Werdezeit noch der Schonung; sie muß aus den Kämpfen der Zeit herausgehalten werden und Schutz vor dem Druck der vollen Realität finden. So wird infolge der abgeschirmten Besinnung ein Überblick und eine Ordnung der Vorstellungs- und Gedankenwelt ermöglicht und der junge Mensch vor den verfrühenden Belastungen durch die rauhe Lebenswirklichkeit bewahrt.
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freier (liberaler) Stil
Wahre Freiheit kann von Anfang an nur in einer Atmosphäre der Freiheit gedeihen, auf die die Erziehung angewiesen ist, wenn sie nicht zur Dressur entarten soll. So wird die Initiative und Spontaneität, Selbständigkeit und Entscheidungsfähigkeit, Unabhängigkeit und Emanzipation der jungen Menschen gefördert
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vorgreifender Stil
Auch dann, wenn man keine Wunderkinder heranziehen will, wird bei der immer größer werdenden Differenz zwischen den Forderungen einer hochentwickelten Kultur und dem, was bei dem freien Wachstum des jungen Menschen herauskommt, die künstliche Beschleunigung des Lerntempos immer nötiger.
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individualisierender Stil
Die Erziehung muß die Einmaligkeit, Unvertauschbarkeit und Unvertretbarkeit der Personalität bewahren, erstrebt die Ausprägung der je eigentümlichen Daseinsmöglichkeiten und die Erfüllung des persönlichen Lebensglücks.
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A
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B
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C
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D
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weltnaher Stil
Erziehung muß in der unmittelbaren Konfrontation mit den realen Daseinsbedingungen und ihren Herausforderungen erfolgen. So wird eine gute Umsetzbarkeit des Gelernten im realen Leben garantiert und durch die Herausforderung zur selbsttätigen Erprobung beste Voraussetzungen für die praktische Bewährung im Alltag geboten.
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gebundener Stil
Man muß versuchen, die Pervertierung der Freiheit zur sinnlosen Beliebigkeit dadurch zu vermeiden, daß der Einzelne in festgelegte, überpersönliche Ordnungen eingefügt wird, die ihn vor der Haltlosigkeit und dem Verfallen an das Inferiore bewahren und ihm eine verantwortlich gebundene Freiheit ermöglichen soll. So werden die Forderungen der Sache und Sitte in ihrer Unbedingtheit erfahren sowie Ordnung und Funktionstüchtigkeit erreicht.
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entwicklungsgemäßer Stil
In der Erziehung muß alles vom Kinde aus bedacht und unternommen werden, weil, was noch nicht von eigener Erlebnisfähigkeit erfüllt und getragen wird, wenig Wert hat oder gar verwirrend wirkt.
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uniformer Stil Die Erziehung muß den Blick für das Ganze bewahren, erstrebt Anpassungs- und Kooperationsfähigkeit, gewährleistet die für das Zusammenleben erforderliche Konformität.
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Wer heute öffentliche Diskussionen über Schule, deren Organisation- und Unterrichtsformen verfolgt, wird diesen Argumenten ständig begegnen. Es lohnt sich nachzulesen,
- welche politischen, psychologischen und erziehungstechnischen Gründe für die jeweiligen Alternativen sprechen,
- darüberhinaus aber auch, welche “ungewollten Nebenwirkungen” ein Erzieher in Kauf nehmen muss, wenn er sich für bestimmte Stile entscheidet
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4. Meine Kritik
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Kritik:
SPRANGER selbst sieht seine Grundstile der Erziehung als “Idealtypen”. In der Praxis werden Erzieher wohl Positionen wie “eher individualisierend als uniform” einnehmen Allerdings stellen die Paare auch keine reinen Kategorien dar. Das erkennt man leicht, wenn man versucht, die Paare räumlich darzustellen. Da es zeichnerisch nicht möglich ist, in der Ebene einen vier-dimensionalen Raum abzubilden, habe ich in der nebenstehenden Grafik das Paar “vorgreifend - entwicklungsgemäß ausgelassen.
Um sich seines eigenen Standpunktes zu vergewissern, könnte nun ein Lehrer oder Erzieher versuchen, seine persönlichen Schwerpunkte wie unten in den Raum einzutragen.
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Hier steht das braune Ei für eine Haltung,
- die eher weltnah als isolierend,
- eher gesteuert als frei
- und eher individualisierend als uniform ist.
Das grüne Ei bezeichnet eine Haltung, die als
- stark individualisierend,
- sehr frei
- ziemlich unentschieden zwischen isolierend und weltnah
zu bezeichnen wäre.
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Wer das Modell regelmäßig anwendet, kann sich vor unüberlegten, weil unbewusst vorgenommenen Erziehungshandlungen schützen. Damit wird das Erziehungsgeschehen für den zu Erziehenden vorhersehbarer und erträglicher.
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Allerdings wird man auch Ungereimtheiten des Modells entdecken:
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1.
Ohne zusätzliche Gitternetze einzufügen, lässt sich schwer deuten, wie weit ein Punkt in der Richtung von vorn nach hinten liegt.
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2.
Die Dimensionen sind nicht unabhängig voneinander. Das bedeutet: Nicht der gesamte Raum ließe sich durch Punkte füllen, die für tatsächlich existierende Erzieherhaltungen stehen. Es gibt sog. “ungültige” Punkte, z. B. in Zusammenhang mit Steuerung:
- je weltnaher das Erziehungsgeschehen, desto unwahrscheinlicher wird extreme Steuerung
- Uniformierung verlangt geradezu nach Steuerung
- Individualisierung verträgt keine starke Steuerung .D
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3.
Die beiden Stil-Paare
frei - gebunden und individualisierend - uniform
stehen nicht nur in einem Abhängigkeitsverhältnis, sondern sie beziehen sich jeweils auf ein- und denselben Wert - den des freien Individuums
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4.
Andererseits gehören sie verschiedenen Kategorien an,
frei und weltnah
bezeichnen sowohl Erziehungs-ZIELE, als auch Erziehungs-VORGÄNGE
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Trotz der genannten Einschränkungen ist das obige Modell der Erziehungsstile geeignet, sich seines eigenen Erziehungsverhaltens bewusst zu werden.
Besonders hilfreich dafür dürfte es sein, sich genauer mit mit den verschiedenen Merkmalen, historischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen, insbesondere der Vor- und Nachteile zu beschäftigen, wie sie HIER tabellarisch zusammengefasst sind.
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5. Dimensionen von Erziehungsstilen
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Die jeweiligen Erziehungsstile aller Autoren entstammen verschiedenen Quellen. Wie aus der folgenden Übersicht hervorgeht,
werden sie aus politischen, psychologischen, erziehungs-technischen und -organisatorischen Wissenschaftsbereichen begründet .
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BEREICH
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gesellschaftspolitisch
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persönlichkeits-psychologisch
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lernpsychologisch
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unterrichts-bzw. erziehungs-technisch
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unterrichts- bzw. erziehungs-organisatorisch
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BEISPIELE
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individualisierend - uniform (Spranger)
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Wärme, Zuneigung (Baumrind u. Tausch)
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anregende Aktivität (Tausch) , vorgreifend - entwicklungsgemäß (Spranger)
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autoritär - sozial-integrativ - laizzez-faire (Lewin), Lenkung (Baumrind u. Tausch), anregende Aktivität (Tausch), frei - gebunden (Spranger)
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isolierend - weltnah (Spranger)
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Eine eindeutige Zuordnung der Beispiele ist nicht in allen Fällen möglich. So kann nicht entschieden werden, ob TAUSCHS Dimension “anregende Aktivität” eher lernpsychologisch oder unterrichts-technisch abgeleittet ist.
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Die Beispiele zeigen, dass SPRANGERs Modell der Erziehungsstile vielfältigere Bereiche abdecken, als die der anderen Autoren und ist schon aus diesem Grunde besonders zur Gestaltung von Erziehungs- und Unterrichtsprozessen vorzuziehen!
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6. Begrenzungen
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Nur den persönlichkeits-psychologischen Bereich deckt SPRANGER nicht ab. Doch das ist unerheblich.
Denn die Merkmale Zuneigung und warmherziges Verhalten sind von der Persönlichkeits-Struktur des Erziehers bestimmt.
Sie können zwar zur Beschreibung und Analyse herangezogen werden.
Da sie sich aber unmittelbarer Schulung entziehen, bieten sie keine Hilfe wenn es um die konstruktive Anbahnung und Verbesserung des Lehrer- und Erzieherverhaltens geht.
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Lehrer und Erzieher können zwar Schwerpunkte bezüglich der einzelnen Erziehungsstile setzen. Sie werden dabei aber immer die konkreten Lernenden, ihre Vorgeschichte und den Zeitgeist berücksichtigen. (Siehe die tabellarische Zusammenfassung.)
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Lediglich im gesellschaftspolitischen Bereich ist der Entscheidungraum deutlich weiter. Damit diese Entscheidungen aber nicht lediglich von einem verschwommenen Gefühl bestimmt werden, sollten sich Erzieher ihre politisch-weltanschaulichen Einstellungen eingehend bewusst machen.
H. FRANK und B. MEDER bieten mit ihrem “Politischen Wertedreieck”, mit Hilfe dessen diese Selbstvergewisserung auf objektiver Grundlage vorgenommen werden kann.
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gesellschaftspol. dreieck lernpsych: aktiv op-int-ext., op-schwierigkeit, vorgreifend : ibew. unbew.mit, transferLP, grundformabehängi gKomplexitätsstufe aber auch entwicklg urteil habermas unttechn: frei gebunden LS auch grundform untorg.: viel durch schule, standort usw. eingegrenzt, aber u.a projekte bieten oft ungenutzte möglichkeiten. aber einschränkung durch grundformen
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Schrifttum:
BAUMRIND, D. : Child care practices anteceding three patterns of preschool behavior. Genetic Psychology Monograph, 75, 43-88, 1967 DÖRING, K.W .: Lehrerverhalten: Forschung - Theorie - Praxis. Beltz, Weinheim, Basel, 1980 ELDER, G H. : Structural variations in the child rearing relationship. In: Sociometry 25 (1962), 25, S. 241-262 K. LEWIN: Experimente über den sozialen Raum (1939), in: ders.: Die Lösung sozialer Konflikte, Bad Nauheim 1953. SPRANGER, E.: Pädagogische Perspektiven. Quelle & Meyer, Heidelbg. 1951. SPRANGER, E.: Das Gesetz der ungewollten Nebenwirkungen in der Erziehung. Quelle und Meyer, Heidelberg, 1962den Sozialwissenschaften. Ausgewählte theoretische Schriften, Hans Huber Verlag, Bern 1963. TAUSCH, A. und R. : Erziehungspsychologie, Verlag für Psychologie Dr. C. J. Hogrefe, Göttingen 1963 http://de.wikipedia.org/wiki/Erziehungsstil
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