Prof. Harald Riedel:
Systemische Didaktik

Erziehungsstile nach Spranger

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E. SPRANGER beschreibt

in “Pädagogische Perspektiven
 (Quelle und Meyer, Heidelberg, 1951, S. 9)



4 Paare von Erziehungsstilen
als

 “Grundmöglichkeiten des pädagogischen Vorgehens, zwischen denen man wählen kann, ohne daß man es von vornherein falsch macht.”

in “Gesetz der ungewollten Neben-wirkungen in der Erziehung
(Quelle und Meyer, Heidelberg, 1962, S. 40)”


“ungewollten Nebenwirkungen”,
weil

“jeder dieser Stile vermöge seiner Einseitigkeit Nachteile zeitigt, die man in Kauf nehmen muß, nachdem man einmal gewählt hat.”

In der folgenden Tabelle sind neben den
jeweilig kennzeichnenden Merkmalen und Begründungen für die Erziehungsstile,
 auch deren Vor- und Nachteile aufgeführt.

 Sie ist geeignet, auch heutige Positionen bei Diskussionen über Bildungspolitik
 einzuordnen
sowie deren weltanschauliche  und politische Grundlagen nüchtern einzuschätzen.

 

Harald Riedel:
Tabellarische Zusammenfassung der Erziehungsstile nach EDUARD SPRANGER

 

 


Merkmale


Ursache / Begründung


Beispiele


Vorteil


Nachteil
(“ungewollte Nebenwirkungen”)


1
 Weltnah
(direkt
)

Man lernt im wirklichen Leben
durch Nach- u. Mitmachen  sowie risikovolle Erprobung.
Man muss sich in Ernstsituationen bewähren.

Man glaubt sich in einer einfachen Kultur.

Ziel: Funktionable Mitglieder der Gesellschaft

einfache, ältere Kulturen
Ritterakademien
Marxistische Pädagogik
Polytechnische Erziehung

Selbsttätige Erprobung
Praktische Bewährung
Gute Umsetzbarkeit im täglichen Leben.

Komplexe Inhalte verwirren und überfordern.
Ergebnisse: nur äußerliche Anspassung, Engagement ohne Reflexion


2
Isolierend (inselhaft)

Man lernt  “behütet” in einem Schonraum, der den Druck der harten Realität fernhält.
 

Da die umgebende Welt unvollkommen ist und schlechte Einflüsse ausübt, muss man gegen den herrschenden Geist für eine ideale Kultur erziehen.

Schulen
Klosterschulen
Neuhumanistisches Gymnasium
Comenius
Pestalozzi
Herbart

Komplexe und abstrakte Inhalte können ohne Druck von außen planvoll und systematisch erworben werden.

Weltfremdheit
Übermaß an Theorie
Reflexion ohne Engagement
Verbalismus


3
Frei
(liberal)

Schöpferische Kräfte,
Eigeninitiative, Selbständigkeit und Selbstbeherrschung können sich nicht gesteuert, sondern nur auf der Grundlage freier Suchbewegungen entwickeln.

Optimistisches Weltbild:
der Mensch ist gut
Nur Freiheitsgewährung führt zur Selbstbeherrschung.
Durch Irrtum zum rechten Weg

Ziel: Mündigkeit des Einzelnen

Universität nach Humboldt.
Rousseau
Reformpädagogik
Liberal-Pluralistische Systeme

Spontaneität
geistige Selbständigkeit
Entscheidungsfähigkeit
Unabhängigkeit
Emanzipation
Selbstverantwortung

Ungebundenheit
Zügellosigkeit
Unordnung und Leid
Zeitvergeudung
Niveausenkung


4
Gebunden
(autoritär)

Aufbau überpersönlicher Ordnungen und
 Freiheit in Verantwortung durch Führung,
 Gebote, Belohnung.

Pessimistisches Weltbild:
Der unsichere und unvollkommene Mensch bedarf der Anleitung und Lebensorientierung.

Ziel: systemdienliche Bürger

Armee
Franke
autoritär-totalitäre Systeme
Nationalsozialismus
marxistische Pädagogik
 

Sitte
Ordnung
Pflichterfüllung
Funktionstüchtigkeit

Gängelung
Zwang
blinder Gehorsam
hilflos in neuen Situationen
Aggression durch
maßlosen Unabhängigkeitsdrang


5
Entwicklungs-
gemäß

“Alles vom Kinde aus”

Nur lernen,  was z. Z. wirklich erkannt und aufgenommen werden kann.

Leiblich-seelische Entwicklungsstadien erfordern Rücksichtnahme angesichts der komplexen und unüberschaubaren  Kultur

Ziel: glückliche Gegenwart von Kindern und Jugendlichen

Rousseau
Fröbel
Montessori

glückliche Kindheit und Jugend

keine Überforderung

Unterforderung
Verzögerung der Entwicklung
Niveausenkung
Führungslosigkeit


6
 Vorgreifend

Kindheit und Jugend sind nur Durchgangsstadien

Mitarbeit an Kultur verlangt
Leistungstüchtigkeit

Ziel: frühe geistige Reife

Klosterschulen
Philanthropen
(vorschulische Erziehung
vor 3. Lebensjahr

Ausnutzung der Lernfähigkeit,
Leistungssteigerung,
Optimale Förderung,
Zeitgewinn
 

Überforderung
Entmutigung
Altklugheit
Verhindert echtes Verständnis
 


7
Uniform
(Kollektiv)

Alle gleich behandeln,
von allen Gleiches fordern,
den Einzelnen dem Ganzen unterordnen
 

Vom Wohl des Ganzen hängt das Wohl des Einzelnen ab

Ziel: gesellschaftsdienliches Individuum

ältere, einfache Kulturen
Nationalsozialismus
marxistische Pädagogik
Hegel: Objektiver Geist
( Gesamtschule?)

Gerechtigkeit
Kooperationsfähigkeit,
Anstrengungsbereitschaft
Verständnis für andere, Selbstüberwindung,

Gleichgültigkeit
Abstumpfung
Mittelmäßigkeit
Konformität

8
 Individu-
alisierend

Einmaligkeit des Menschen berücksichtigen,
individuelle Förderung
 

Vom Wohl des Einzelnen zum Wohl des Ganzen

Ziel: Optimale Entfaltung,
Persönliches Lebensglück

pluralistische, liberale Systeme
alte Universität
Reformpädagogen

spontane Lernbereitschaft
Selbständigkeit,
Spezialisierung
Spitzenleistung
 

Egoismus ohne Solidarität
Man lernt nur, was leicht ist, und  Spaß macht.
Niveausenkung

Mit Recht bezeichnet SPRANGER die Grundhaltungen auch als
“idealtypisch”.
D. h., dass die Positionen in der konkreten Erziehungs- und Unterrichts-Situation  nie in reiner Form, sondern immer vermiiteln mit anderen Positionen verwirklicht werden. S. dazu das räumliche
Modell zur persönlichen Beurteilung des eigenen Stils.

Da  jede der aufgeführten Grundhaltungen immer zeit- und situationsabhängig sind, wird man heute kaum alle Stile für gleichberechtigt halten.

So widerspricht unser “Zeitgeist” der Haltung des extrem-gebundenen, autoritären Stils. Aber auch er findet heute wieder Anwendung in extremen Erziehungssituationen, beispielsweise  bei langjährig gewalttätigen jugendlichen Straftätern.

In welcher Situation welche Grundhaltung in welchem Maße angemessen ist, hängt außerdem von weiteren Faktoren ab.

Schrifttum:

SPRANGER, E.: Pädagogische Perspektiven. Quelle & Meyer, Heidelberg. 1951.
SPRANGER, E.: Das Gesetz der ungewollten Nebenwirkungen in der Erziehung. Quelle und Meyer, Heidelberg, 1962

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