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Prof. Harald Riedel: Systemische Didaktik
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Das erweiterte tripolare Modell der didaktischen Wirkungsfelder bedingt eine große Vielfalt an möglichen Forschungsfragen in der Unterrichts-wissenschaft. Völlig im Gegensatz zur einseitigen Bevorzugung beispielsweise der teilnehmenden Beobachtung als Standardverfahren zur Klärung unterrichtswissenschaftlicher Fragen erfordern verschiedene Forschungsfragen auch jeweils andere Untersuchungsverfahren. Die folgende Grafik gibt eine Übersicht über die in Frage kommenden Methoden.
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Verfahren
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Besondere Merkmale
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Beispiel
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Nicht- empirische Verfahren
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hermeneutisch
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”VERSTEHEN” einer geschichtlichen Situation oder einer menschlichen Leistung - ausgehend von ”vorläufigem Wissen” - durch spiralig angeordnetes Quellenstudium
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Beurteilung historischer Unterrichtsformen und Erziehungsziele aus dem damaligen “Zeitgeist” heraus
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analytisch
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ZERLEGUNG des zu untersuchenden Gegenstandes in seine Komponenten, Relationen werden nicht erfasst
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Darstellung von Unterricht als einfaches Modell (z. B. das “Didaktische Dreieck”) oder das klassifikatorische Modell von Paul Heimann (“Berliner Didaktik”)
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(re)-konstruierend
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ZUSAMMENFÜGEN von Teil-Informationen zu einem vernetzten Ganzen Vorrangig sind Relationen und Funktionen.
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Aufbau des Modells der Unterrichts-Situation und anderer Teil-Modelle durch die Systemische Didaktik
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kalkülisierend
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Sonderfall konstruierenden Vorgehens, bei dem die informationellen Bausteine durch abstrakte Regeln zu neuen Ganzheiten verbunden werden
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Einige Versuche der Kybernetischen Pädagogik (z. B. “w-t-Didaktik”)
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Empirische Verfahren
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Feld-Untersuchung
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Erhebung
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Gewinnung möglichst vollständiger Daten aus Stichproben durch BEFRAGUNG oder BEOBACHTUNG
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Die Leistungen von Schülern der gleichen Jahrgangsstufe in verschiedenen Schulformen oder verschiedenen Ländern werden verglichen.
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Ex post-facto
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Versuch, beispielsweise durch (statistische) FAKTORENANALYSE die Ursachen festgestellter Ereignisse zu bestimmen
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Nachdem festgestellt worden war, dass sich die Rechenfähigkeiten von Schulanfängern zunehmend verschlechtern, wird durch Heranziehung von Daten aus anderen Ländern geprüft, ob sich ein statistischer Zusammenhang mit bestimmten Bildungssystemen nachweisen lässt.
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Evaluation
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SYSTEMATISCHE Überprüfung von Maßnahmen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit
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Lernbehinderte Schüler wurden in Regelklassen eingegliedert. Nach einem Jahr wird untersucht, wie sich ihre Leistungen nach der Integration in verändert haben.
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Teilnehmende Beobachtung
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Der Forscher übernimmt selbst eine AKTIVE ROLLE im zu untersuchenden GESCHEHEN, um Erkenntsnisse über Handlungen und deren Folgen der beobachteten Rolleninhaber zu gewinnen
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Als Helfer oder Zweitlehrer greift der Forscher in den Unterricht ein, beobachtet dabei die Handlungen der Schüler und diskutiert später mit ihnen über die Beobachtungen.
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Verantwortliche Realisation
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Der Forscher UNTERRICHTET entspechend einem zuvor konstruierten Konzept über längere Zeiträume, um Kenntnisse über die Wirkungen und Nebenwirkungen der eingesetzten Verfahren und Mittel zu erlangen
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Der Forscher unterrichtet ein Jahr lang in einer Klasse alle Sachfächer in Form des “Projektunterrichts”, beobachtet und protokolliert, ob die erhofften Wirkungen (z. B. höhere Lernbereitschaft) erzeugt werden, aber auch, welche unerwünschten Nebenwirkungen eintreten (z. B. geringeres systematisches Wissen).
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Experiment
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Einziges Verfahren, mit dem URSACHE-WIRKUNGS-BEZIEHUNGEN festgestellt oder überprüft werden können. Voraussetzung ist eine Theorie, die den Zusammenhang verschiedener Variablen beschreibt. Im Experiment wird eine (unabhängige) Variable systematisch verändert, alle übrigen werden konstant gehalten, die Auswirkung der Veränderung auf die (abhängige) Variable wird gemessen
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In mehreren Parallelklassen wird der Unterricht A) mit Phasen des auswertenden Anwendens vor dem konvergent denkenden Anwenden, B) ohne solche Phasen durchgeführt.
Alle übrigen Phasen sind in A und B gleich. Geprüft wird, ob die Vermutung bestätigt wird, dass die schwächeren Schüler besonders in den Gruppen A profitieren (s. Experiment “Zahlensysteme”).
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als Feld-Experiment
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Das Experiment wird unter “NATÜRLICHEN BEDINGUNGEN” (im täglichen Unterricht) durchgeführt. Geprüft werden Wirkungen und möglicherweise Nebenwirkungen bestimmter unterrichtstechnischer Verfahren und Mittel
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s.o.
Als Prüfgruppen werden normale Parallelklassen eingesetzt. Die unterschiedliche Zusammensetzung der Klassen wird dabei nicht berücksichtigt.
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als Labor-Experiment
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Um Störungseinflüsse zu vermeiden, wird das Experiment unter besonderen “KÜNSTLICHEN BEDINGUNGEN” durchgeführt
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Die Prüfgruppen werden durch “Parallelisierung” nach Geschlecht und bisheriger Leistungsfähigkeit zusammengestellt
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als Verifikations-Experiment
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Ziel des Experiments ist die ”BESTÄTIGUNG” der untersuchten Vermutung über die Ursache-Wirkungs-Beziehung
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Als “bewährt” wird eine Hypothese angesehen, wenn die vorausgesagte Wirkung statistisch “signifikant” eintritt.
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als Falsifikations-Experiment
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Schwierigste Form des Experiments, von der viele Forscher behaupten, sie sei undurchführbar. Ziel des Experiments ist es, herauszufinden, unter welchen Umständen die vermutete Ursache-Wirkungs-Beziehung ”WIDERLEGT” wird. Nur zur Überprüfung von theoretischen, nicht von unterrichts-technischen Hypothesen geeignet
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Es wird nicht die Wirkung des auswertenden Anwendens vor dem konvergent-denkenden Anwenden untersucht, sondern nur, ob die Hypothese, dass konvergentes Denken eine schwierigere Intern-Operation ist als das auswertende Anwenden sich auch unter „belastenden“ Umständen bewährt. Durch stufenweise Erschwerung der Aufgaben zum auswertenden Anwenden wird geprüft, ob, und falls ja, ab wann die Hypothese widerlegt wird.
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Fasst man die Forschungsanliegen entsprechend den Merkmalen der verschiedenen Wirkungsfelder und deren Beziehungen untereinander grob zusammen, so ergibt sich das folgende Bild über die mögliche Zuordnung von Forschungsmethoden und -gegenständen:
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Wirkungsfeld
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Gegenstand
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Verfahren
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Theorie
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Wahrheitsgehalt von Gesetzesaussagen
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Laborexperiment, wenn möglich, als Falsifikationsexperiment
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Früher und heute verfolgte, auch unausgesprochene Ziele
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Erhebung, Hermeneutik
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verbreitete Mittel und Verfahren
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Erhebung
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Technologie
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Wirksamkeit von Verfahren und Mitteln
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Zuerst Laborexperiment als Verifikationsexperiment, dann, im Falle erwiesener Wirksamkeit als Feldexperiment
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Praxis
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Verbesserung des Unterrichts hinsichtlich Wirkungen, Nebenwirkungen und Akzeptanz von Mitteln und Verfahren
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Längerfristige, verantwortliche Unterrichtsrealisation
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Aus der Technologie für die Theorie
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Indirekte Bewährung von Gesetzesaussagen durch den Nachweis, dass die auf ihnen aufgebauten Verfahren und Mittel signifikant wirksam sind.
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Laborexperiment, Feldexperiment, Evaluation
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Aus der Praxis für die Theorie
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Realisierbarkeit von Zielen und Inhalten
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Verantwortliche Unterrichtsrealisation, Evaluation, teilnehmende Beobachtung, Erhebung
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Aus der Praxis für die Technologie
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Einsetzbarkeit sowie Nebenwirkungen von Mitteln und Zielen
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Verantwortliche Unterrichtsrealisation, Evaluation, teilnehmende Beobachtung
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Selbst dieser sehr komprimierte Überblick reicht aus, um zu erkennen, dass die vielfältigen Beziehungen zwischen den Wirkungsfeldern und den unterschiedlichen Forschungsgegenstände ein vielseitiges Forschungsinstrumentarium erfordern, und dass sich die routinemäßige Festlegung auf einige wenige in Mode gekommene Methoden verbietet!
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Literatur:
- H. RIEDEL: Zum Verhältnis von Zielen, Gegenständen und Verfahren der Unterrichtsforschung. In: Unterrichtswissenschaft. Max Hüber. München. 1984, S. 367-386- H. RIEDEL: Zur Methodologie unterrichtswissenschaftlicher Experimente. In: Aurin, K./Schwarz, B. (Hrsg.): Die Erforschung pädagogischer Wirkungsfelder. Arbeitsgruppe für empirische pädagogische Forschung in der DfGE. Freiburg/Breisgau. 1985, S. 113-130
- H. RIEDEL: Vorbereitung eines Experiments zur Schwierigkeitsstufung von Internoperationen. Grundlagenstudien aus Kybernetik und Geisteswissenschaft (Grkg), 26, 3, 1985 b, S. 99-110
- H. RIEDEL: Aufbau und Ergebnisse eines Falsifikationsexperiments zur Schwierigkeitsstufung von Internoperationen. Grundlagenstudien aus Kybernetik und Geisteswissenschaft. 26, 4, 1985 c, S. 163-176
- H. RIEDEL: Muster eines Algorithmus zur Realisation unterrichtswissenschaftlicher Falsifikationsexperimente. Grundlagenstudien aus Kybernetik und Geisteswissenschaft 3, 1986, S. 105-118
- Plädoyer für eine weite, aber differenzierte Auffassung unterrichtswissenschaftlicher Forschung. In: Dieckmann, B. (Koordinator): Ringvorleseung “Zum Selbstverständnis der Erziehungs- und Unterrichtswissenschaften”. TU Berlin, Bibliothek des FB 22 (Ringvorlesung 1987-88). Berlin 1988
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