Prof. Harald Riedel:
Systemische Didaktik

System

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Wird ein Objekt oder ein Ereignis  als System betrachtet,
dann steht im Vordergrund der Betrachtung 
die  (Gesamt-)
Funktion des Objekts oder Ereignisses.

In den meisten Fällen ergibt sich die Funktion eines Systems allerdings erst durch das Zusammenwirken mehrerer Teil-Funktionen. Diese wiederum werden durch ein Netz von Relationen realisiert, mit denen die Elemente des Systems verknüpft sind. 
 

Oft ist die Vernetzung der Elemente schwer durchschaubar, weil ein Element durch verschiedene Relationen  mit verschiedenen anderen Elementen gekoppelt sind. Das Verständnis wird erheblich erleichtert, wenn man der Reihe nach analysiert,

  • welches die Haupt-Funktion des Systems  ist,
  • welche Teil-Funktionen dazu notwendig sind,
  • welche Relationen zwischen welchen Merkmalen welcher Elemente vonnöten sind, um diese Teilfunktionen zu gewährleisten.

Bei Autos sind unter systemischen Gesichtspunkten die meisten Merkmale wie Herstellerfirma, Größe, Geschwindigkeit, Bequemlichkeit, Preis usw unwesentlich, ebenso auch Gliederungen nach Klassen-Merkmalen. Im Vordergrund steht hier die Funktion des Autos, also die “Fähigkeit” Personen und Lasten über Land zu transportieren. Diese (Gesamt-) Funktion kann zufriedenstellend nur geleistet werden, wenn eine Reihe von Teilfunktionen realisiert sind, so z.B.

  • ein Antrieb,
  • eine Vorrichtung, um das Fahrzeug mit möglichst geringer Reibung über die Erdoberfläche zu bewegen (Fahrwerk),
  • eine weitere, um es zu bremsen,
  • eine, um es zu lenken.

Jedes der entsprechenden Teilsysteme setzt seinerseits mehrere untergeordnete (Teil-) Funktionen voraus. So verlangt beispielsweise ein Otto-
Motor zum Antrieb Vorrichtungen, die den Brennstoff vernebeln, ihn verdichten, ihn zünden usw.

Für die Ausführung der einzelnen Funktionen sind Relationen von ausschlaggebender Bedeutung. Solche für die Teilfunktion der Vernebelung notwendigen Relationen sind z.B. folgende:

  • Weil Benzin zur Verbrennung eine bestimmte Menge Sauerstoff benötigt, muß das Benzin mit Luft (die ja Sauerstoff enthält) vermischt werden.
  • Um das Benzin möglichst vollständig zu verbrennen, müssen möglichst viele Benzinteilchen mit Sauerstoff in Berührung kommen.
  • Damit dies erreicht wird, wird das Benzin durch eine Düse vernebelt. ...
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Am Beispiel der heute nur noch selten verwendeten Pendeluhr lässt sich gut darstellen, wie systemisches Denken auch hilft, unüberschaubare Sachverhalte zu strukturieren und dann besser lernbar zu machen. Ich wähle den Text aus einem älteren Lexikon bewusst aus, weil viele Leser  Schwierigkeiten haben, ihn zu verstehen. Das ist mindestens teilweise dadurch bedingt,

  • dass die Relationen zwar ziemlich vollständig versprachlicht sind,
  • aber nicht nach den zu erfüllenden Teil-Funktionen geordnet sind:
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“Bei älteren Uhren wird die periodische Bewegung von einem Pendel ausgeführt. Das die Uhr antreibende Gewicht greift am Umfang der Welle an, so daß das Zahnrad sich drehen müsste; diese Drehbewegung verhindert jedoch der blockierende Anker. Er ist direkt und starr mit dem Pendel verbunden. Hat dieses seinen weitesten Ausschlag erreicht, gibt der eine Haken des Ankers einen Zahn des Zahnrades frei, so daß dieses sich ein Stück weiterdrehen kann. Diese ruckweise Drehbewegung wird über andere Zahnräder auf die Uhrzeiger übertragen.. Damit das Pendel trotz der Reibungsverluste weiterschwingen kann, erhält es, wenn der Anker das Zahnrad freigibt, einen Stoß vom Antrieb (Zahnrad), ähnlich dem Anstoß bei einer Kinderschaukel, die immer gleich weit schwingen soll. Durch Verschiebung der Pendelscheibe entlang der Aufhängestange wird die Frequenz des Pendels (Anzahl der Schwingungen pro Zeiteinheit) verändert. Abwärtsschieben der Pendelscheibe führt zu einem langsameren, Aufwärtsschieben zu einem schnelleren Gang der Pendeluhr.”  (Wie funktioniert das? Bibl. Institut Mannheim.1971, S. 439)

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Verfährt man enstsprechend den drei oben aufgeführten Schritten, so wird das Verständnis erheblich erleichtert.

  1. Hauptfunktion der Pendeluhr (wie auch anderer Uhren) ist das Messen von Zeiträumen.
  2. Dazu müssen mehrere Teil-Funktionen erfüllt werden:
    • Das “Takten” der Zeit durch eine stets gleichbleibende Vergleichszeit,
    • Das Anzeigen der gemessenen Zeiteinheiten,
    • Das Versorgen der Uhr mit Energie (sonst würde sie ja “stehen bleiben”).

     

     3.a      Relationen zu Energieversorgung
    3a1     Da das Gewicht  (schwarz) die damit verbundene Schnur nach unten belastet
                und da die Schnur rechts herum um die Welle gewickelt ist,
                erhält die Welle einen Antrieb nach rechts.
     3a2     Da das Zahnrad starr mit der Welle verbunden ist,
                wird auch das Zahnrad nach rechts bewegt.
     3a3     Wenn das Pendel nach links schlägt,
                wird das runde Ende des Ankers (links) von dem nach rechts strebenden Zahn des Zahnrades nach oben gedrückt,
                wodurch das Pendel einen neuen Anstoß erhält.  

     3.b     Relationen zu Takten der Zeit
    3b1     Je länger ein Pendel ist, desto langsamer schwingt es.
    3b2     Da die Masse des Pendelgewichts (rote Scheibe) groß im Verhältnis zur Pendelstange ist,
                schwingt das Pendel um so langsamer (schneller), je weiter (dichter) das Pendelgewicht vom Anker entfernt ist.
    3b3     Daher kann man durch Hinauf- oder Herabschieben des Pendelgewichts die Schwingungsdauer des Pendels auf den
                gewünschten Wert (z. B. 1 Sekunde) einstellen.

     3.c   Relationen zu Anzeigen der gemessenen Zeiteinheiten
    3c1    Da der (grüne) Zeiger starr mit der Welle und dem Zahnrad verbunden ist,
               wird er mit jedem rechten Ausschlag des Pendels nach rechts bewegt.
    3c2    Da die Zeit zwischen den Pendelschlägen immer gleich ist, rückt die Zeigerspitze bei jedem Pendelschlag um stets dieselbe Strecke,
               die als Einheit für die Anzeige der Zeiteinheit (z. B. 1 Sekunde) dient, nach rechts.

(die weiteren Relationen für die Umsetzung auf weitere Zeiger zur Minuten- und Stundenanzeige wird hier außer Acht gelassen, da die obige Abbildung das entsprechende Getriebe nicht zeigt).

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In gleicher Weise wie für das  maschinen-technische System der Pendeluhr lassen sich die Verhältnisse zwischen Funktion, Teil-Funktionen und Relationen  für alle Systeme beschreiben, auch für soziale Systeme. Für das System “Unterrichs-Situation” wird  dies ausführlich in dem Aufsatz  “Systemisches Modell zur Differenzierung von Lernsituationen” beschrieben.

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Die Unterrichts-Situation umfasst mehrere untergeordnete Teil-Systeme

  • die einfache Lernsituation
  • die gesteuerte Lernsituation
  • die geregelte Lernsituation.

Die Teilfunktionen der Unterrichts-Situation sind:

  • die internen und externen Handlungen des Lernenden am Operations-Objekt
  • die Anregung des Lernenden durch das Operations-Objekt,
  • die Auswahl oder Veränderung des Operations-Objekts,
  • die Veränderung des Lernenden,
  • die Mitteilung zwischen Lernenden und Lehrenden,
  • die Auswahl des Operations-Zieles,
  • die Veränderung des Operations-Zieles.

Die Unterrichts-Situation
ist ihrerseits ein Teil-System
des Systems “Unterricht.

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Bei der Entscheidung darüber, auf welcher Komplexitäts-Stufe ein Unterrichts-Objekt gelernt werden soll,  ist immer der Anfangs-Zustand der Lernenden maßgebend.

Welche Vorteile das Erlernen auf der Ebene des Systems hat, lässt sich überzeugend am folgenden Beispiel verdeutlichen.

KomplSt-SpezGewicht

Auf einer schiefen Ebene befindet sich ein kleiner Wagen der durch eine Schnur daran gehindert wird, hinunter zu rollen. Die Schnur läuft über eine Rolle, und ihr Ende ist an einem Holzblock befestigt, der gerade eben die Wasseroberfläche im Glasbehälter berührt. Der Aufbau ist so ausgewogen, dass der Wagen stehen bleibt. Auf dem Tisch steht ein mit Wasser gefülltes Messgefäß, keine weiteren. Forderte ich Studenten auf, den Wagen nach unten rollen zu lassen, ohne ihn zu berühren oder ihn zu belasten, so wussten viele die Aufgabe dadurch zu lösen, dass sie Wasser in den Glasbehälter gossen. Nach einer Begründung befragt, erklärten sie: “Holz schwimmt”

Den meisten Studenten gelang es jedoch nicht, die Aufgabe zu lösen, wenn nun die gleiche Anordnung vorgegeben wurde, aber anstatt des Holzblocks ein Bleigewicht  knapp in das Wasser tauchte. “Blei geht unter” dachten sie wohl.
Nur jene wenigen, die sich an das Prinzip des spezifischen Gewichts erinnerten, und ihr Wissen um das Verhältnis zwischen der Masse des Körpers und der Masse des verdrängten Wasser erinnerten und hier zur Lösung anwenden konnten, schlugen vor, die Aufgabe wiederum durch Zugießen von Wasser zu lösen.
Die Überlegenheit der erfolgreichen Studierenden ergab sich aus ihren Kenntnissen über Relationen. Die nicht erfolgreichen erinnerten sich lediglich an Merkmale bestimmter Elemente.

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