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Prof. Harald Riedel: Systemische Didaktik
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Der Widerspruch von Planungsnotwendigkeit und freier Willensentscheidung
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Der Alltagsverstand sagt uns, dass Erziehung und Unterricht
- ohne freie Willensentscheidung
- und planende Überlegungen
nicht möglich sind.
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Aber:
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Planung setzt voraus, dass künftige Ereignisse oder Zustände im Sinne von Ursache-Wirkungs-Beziehungen vorhergesagt werden können.
Dabei muss man davon ausgehen, dass die Welt geordnet ist und gesetzmäßig verläuft.
Denn nur wenn man bestimmte Gesetzmäßigkeiten kennt, kann man Künftiges voraussagen.
Diese Auffassung nennt man in der Philosophie DETERMINISTISCH.
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Dem widerspricht die Vorstellung von freier Willensentscheidung.
Frei entscheiden kann man nur, wenn nicht alles gesetzmäßig festgelegt ist, sondern der Zufall eine entscheidende Rolle im Weltgeschehen spielt.
Das ist die Auffassung des INDETERMINISTEN.
Wie aber vertragen sich freier WILLE und Zufall?
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Der EXTREME DETERMINIST könnte sagen:
“Wenn ich im Jahre 1980 genügend genaue Informationen über den geistigen, seelischen und körperlichen Zustand der Person Harald Riedel gehabt und alle gesetzmäßigen Zusammenhänge gekannt hätte, hätte ich voraussagen können, dass er diese Internetseite im Jahre 2009 erstellen wird.”
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Der EXTREME INDETERMINIST könnte sagen:
“Was auf dieser Seite über ‘Plastische Steuerung’ ausgeführt wird, ist ein Ergebnis reinen Zufalls.”
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Dennoch beeinflussten beide philosophischen Theorien,
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nacheinander alle Geisteswissenschaften in hohem Maße, und führten zu entsprechenden theoretischen Mängeln und Einseitigkeiten, die sich noch heute in den verschiedenen Wissenschaftstheorien und in den - von diesen wiederum beeinflussten - unterrichts- und erziehungswissenschaftlichen Modellen wiederfinden.
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Wie aber kann man dieser philosophischen Zwickmühle zwischen Determinismus, Indeterminismus, Anspruch auf freie Willensentscheidung und Schöpferkraft entkommen? Oder:
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Wie muss ein Modell beschaffen sein, das beides umfasst
- die Forderung nach Freiheit
- die Fähigkeit zu schöpferischer Leistung
?
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Einen Weg zeigt K. R. POPPER schon 1962 in “Über Wolken und Uhren” mit seinem Modell der “Plastischen Steuerung”
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Die Alltagserfahrung sagt uns, dass nicht alle Dinge und Objekte in gleichem Maß gesetzmäßig funktionieren und voraussagbar sind. POPPER schlägt daher vor, sich eine Skala zu denken, die auf der linken Seite die Merkmale “ungeordnet, zufällig, unvorhersagbar” und auf der rechten Seite die gegensätzlichen Merkmale “geordnet, gesetzmäßig, vorhersagbar” aufweist.
Die folgende Grafik gibt einen Eindruck dieser Vorstellung.
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Schon für Pflanzen, erst recht aber für Tiere und Menschen können wir nicht akzeptieren, dass sie völlig geordnet, gesetzmäßig und vorhersagbar sind.
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POPPER begründet, dass es bei ihnen ein Zusammenwirken zwischen “etwas sehr Zufallsähnlichem und so etwas wie einer einsschränkenden ... Steuerung” geben muss und vergegenständlicht diese Vorstellung mit seinem Modell der “Plastischen Steuerung”.
Wenn das Modell aber ebenso wie die älteren Vorstellungen des Determinismus und des Indeterminismus Allgemeingültig beanspruchen, so muss es auch Geschehnisse im Bereich des Unbelebten abbilden.
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Genau das verdeutlicht Popper am Beispiel eines Gases. Er setzt auf der eingangs eingeführten Skala ganz links eine Gaswolke als Abbild des Indeterminierten, ganz rechts einen gasgefüllten Eisenzylinder als Stellvertreter des Determinierten, in die Mitte eine Seifenblase.
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Schon bald nach ihrer Entstehung verliert die Seifenblase die ideale Form der Kugel. Sie wabert durch die Luft. Dabei verändert sie ständig ihre Form. Sie kann sich sogar teilen:
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Die Seifenblase besteht aus zwei Teilsystemen:
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Das steuernde Objekt ist die Seifenhaut. Ohne sie würde die Luft schnell diffundieren, das System wäre zerstört.
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Das gesteuerte System ist die eingeschlossene Luft. Ohne die Luft würde die Seifenschicht zusammenfallen. Man hätte nur noch einen Tropfen Seifenwasser.
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Dies geschieht, weil die Seifenhaut die Luft nicht starr einschließt, sondern eine durchlässige Membrane bildet. Das System ist also ‘offen’ und kann auf Umwelteinflüsse reagieren. Die Lufttmoleküle sind zwar auf einen bestimmten Raum beschränkt, können sich aber innerhalb der Seifenhülle frei bewegen. Andererseits können sie die Seifenhülle verändern. Fähigkeit zur Veränderung aber ist die Verallgemeinerung von schöpferischer Fähigkeit .
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Das Modell der
Plastischen Steuerung
vermag im Gegensatz zu Determinismus und Indeterminismus beides abzubilden,
- die Forderung nach Freiheit
- die Fähigkeit zu schöpferischer Leistung
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Plastische Steuerung und Unterricht
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Das Modell der Plastischen Steuerung verdeutlicht auch sehr anschaulich die Unterschiede von Unterrichts-Planung und Unterrichts-Realisation.
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Selbstverständlich verläuft die Realisation des Unterricht keinesfalls determiniert. “Unterricht realisieren” bedeutet in erster Linie die Operationen des Lernenden plastisch zu steuern.
- Die grüne Linie steht für die Operationen des Lernenden.
- Sie verläuft nicht geradlinig vom Anfangs-Zustand zum Unterrichts-Ziel.
- Die Abweichungen von der roten Ideallinie zeigen, dass die Operationen des Lernenden innerhalb des Kanals frei verlaufen.
- Der Kanal wird durch den zuvor erstellten Unterrichts-Plan bestimmt.
- Die Freiheit des Lernenden endet dort, wo die Außenwände des Kanals berührt werden.
- Das steuernde System ist aber nicht die rote Linie, sondern der Kanal!
- Weitere steuernde Systeme sind die dem Lehrenden leider oft unbewussten
Menschenbilder und von ihm bevorzugten Erziehungsstile.
Würden die Operationen des Lernenden die Außenwände des Kanals durchstoßen, so zerfiele das System, wie es bei der Seifenblase passiert, wenn die Seifenhaut zerplatzt.
Unter welchen Umständen dies geschieht und in welchen Fällen es der Lehrende zulassen sollte, hängt von verschiedenen Faktoren ab.
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Das Planen von Unterricht geschieht hingegen deterministisch.
Der rote Pfeil soll versinnbildlichen, dass die Planung final vom Unterrichts-Ziel her zum Anfangs-Zustand des Lernenden hin konstruiert wurde.
- Voraussetzung dafür ist die Kenntnis, zumindest aber die Annahme von Gesetzmäßigkeiten in Unterrichts-Situationen.
- Der Unterrichts-Plan bildet den Kanal ab, innerhalb dessen Unterricht verwirklicht werden soll.
- Die Geradlinigkeit des roten Pfeils zeigt nicht etwa, wie es häufig missverstanden wird, den Grad an Detailliertheit einer Planung an, sondern steht für die logische Stringenz des Konstruktionsvorganges.
- Die Breite des Kanals hängt von der Qualität des beabsichtigten Lernprozesses und der Offenheit der einzusetzenden Operations-Objekte ab.
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Leider mißachten viele allgemein-didaktischen Modelle diese grundlegenden Unterschiede. Meistens liegt das daran, dass sie von einer Wissenschaftstheorie beeinflusst sind, die die gesamte Welt durch nur ein Prinzip zu erklären versuchen.
Das führt zu Fehlsichten:
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Entweder leugnet man, dass Gesetzmäßigkeiten des Lernens oder Unterrichtens überhaupt existieren. Dann fallen die Aussagen zum Planen von Unterricht so vage oder nichtssagend aus, dass sie für den Lehrer nutzlos sind.
Das aber führt dazu, dass die Bedeutung der Allgemeinen Didaktik von Lehrern als sehr gering eingestuft wird.
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Oder man fordert, dass der Unterricht nach einem Prinzipien- oder Rezeptkatalog geplant wird, der möglichst vollständig erfüllt werden soll, und verlangt, dass der Lehrende den so entstandenen Plan minutiös in Unterricht umsetzt, auch wenn nicht vorhergesehene Operationen der Lernenden schwerwiegende Abweichungen beanspruchen.
Die Folge sind meist Rigidität des Unterrichts und Ablehnung seitens der Schüler.
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Probleme unterschiedlicher Freiheitsgrade und notwendiger Steuerungen
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werden bei der Durchführung von Unterricht durch das Modell der Lernsituationen in sehr differenzierter Weise behandelt.
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Literatur:
POPPER, K. R.: Objektive Erkenntnis. Ein evolutionärer Entwurf. Hoffmann und Campe, Hamburg. 1973/1974 POPPER, K. R.: Über Wolken und Uhren. Zum Problem der Vernunft und der Freiheit des Menschen 1922. In: K. R.. POPPER: Objektive Erkenntnis. Ein evolutionärer Entwurf. Hoffmann, 1973, S. 213 - 229
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