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Prof. Harald Riedel: Systemische Didaktik
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Frühe Lehr- Erfahrung
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Studien- Erfahrung
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Entwicklungs- stand der Didaktik
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... elementenhaft
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... klassifizierend
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... systemisch
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Wie und warum entstand die Systemische Didaktik?
Meine ersten Unterrichtserfahrungen konnte ich schon als Sechzehnjähriger in der einklassigen Dorfschule meines Vaters WALTER RIEDEL machen. Er war ein vorbildlicher Volkschullehrer. Unter seiner Anleitung durfte ich unterrichten und von ihm lernte ich die Lust am Ersinnen von Unterrichtssituationen, die (damals) zwei Bedingungen zu erfüllen hatten: Sie mussten ”anschaulich” sein und die Schüler ”interessieren”. Durch meine Lehrtätigkeit lernte ich schon sehr früh, wichtige methodische Tricks, wie man Schüler motiviert und wie man “gediegenen” Unterricht macht.
Während des Lehrerstudiums in Kiel (1957 - 1959) bemerkte ich zu meiner Enttäuschung bald, dass die vielen ”Methoden”, die ich für jedes der sieben (!) Fächer lernen musste, nichts anderes als ein Sammelsurium ähnlicher Tricks und Rezepte boten, wenn diese auch wenigstens teilweise durch lernpsychologische Argumente untermauert waren.
Von einem ”Studium” hatte ich mehr erwartet: systematisches, fächerunabhängiges, allgemeines Wissen über Unterrichtsprozesse und deren Anbahnung. Aber der Stand der Unterrichtswissenschaft war damals vergleichbar mit dem Stand der Biologie im Mittelalter, als die ”Kräuterweiblein” ihr Wissen von Mutter zu Tochter weitergaben und je nach Vermögen erweiterten. Das Wissen war elementenhaft. Wie man einst bestimmten Krankheiten bestimmte Kräuter mit bestimmten Merkmalen zugeordnet hatte, so wurden nun bestimmten Unterrichtsgegenständen in bestimmten Fächern bestimmte, manchmal mehrere Methoden zugeschrieben. Damit ausgestattet, konnte man dann als Lehrer durch Versuch und Irrtum hinzulernen.
Glücklicherweise geriet ich während meiner fünf (!)-jährigen Zeit als ”Junglehrer” in Ostholstein in einen engagierten Kreis um den erfahrenen und vielseitig gebildeten Rektor WILHELM PRANGE. Von ihm lernte ich, ”Unterrichtsmethoden” auf der Grundlage lern- und entwicklungspsychologischer Kenntnisse kritisch zu prüfen und mich von ihnen unabhängig zu machen. Diese Gewohnheit und Fähigkeit sollte für meine kommenden beruflichen Aufgaben von größter Bedeutung werden.
Im Zusammenhang mit meiner Forschungstätigkeit am Institut für Kybernetik an der Pädagogischen Hochschule Berlin begegnete ich 1965 PAUL HEIMANN, der gerade seine ”Didaktik als Theorie und Lehre” eingeführt hatte. Ich war begeistert, dass die Unterrichtswissenschaft nun (mindestens im Ansatz) eine neue Entwicklungsstufe erklommen hatte: 200 Jahre nachdem Carl von Linné ähnliches für die Biologie geleistet hatte, versuchte Heimann die unübersehbare Menge des Wissens über Unterricht in Klassen einzuordnen. Sein Schema, das heute in Abwandlungen noch vielfach in der Lehrerausbildung verwendet wird, enthielt die Klassen ”Intentionen”, ”Inhalte”, ”Methoden” und ”Medien”, die ihrerseits in Unterklassen unterteilt wurden. Durch diese Klassifizierung wurde das von Lehrern zu erwerbende Wissen zwar nicht “strukturiert”, wie Heimann selbst es meinte, aber doch geordnet und dadurch erheblich informationsärmer. Das Modell bot nun eine Grundlage, um beobachteten Unterricht systematischer zu analysieren als zuvor. Leider aber half es nicht, Unterricht besser zu planen oder gar zu realisieren. Wer nicht schon zuvor Methoden und Tricks kannte, mit denen er die ”Entscheidungsfelder” inhaltlich füllen konnte, war weiterhin dem Lernen durch Versuch und Irrtum ausgeliefert.
Als ich 1968 eine Dozentur für Grundschuldidaktik an der Pädagogischen Hochschule in Berlin erhielt, war mir klar, dass das klassifizierende Heimann-Modell ersetzt werden musste. Durch die Beschäftigung mit Informations- Psychologie innerhalb der Kybernetischen Pädagogik war mir das Denken in Systemen zur Gewohnheit geworden, und ich sah hierin einen Schlüssel zum Aufbau eines fruchtbareren diaktischen Modells.
Andererseits mussten die Grenzen der Kybernetischen Pädagogik, wie sie HELMAR FRANK vertrat, überschritten werden. In deren Modellen werden zwar die Aufnahme, Speicherung und Verarbeitung von Information bei Lernvorgängen abgebildet, doch wurden die unterschiedlichen Arten und Qualitäten des Denkens und Lernens vernachlässigt. Dabei hatte HANS AEBLI bereits 1961 in seiner ”Psychologischen Didaktik” die besondere Wirksamkeit eines ”aktiven” und ”forschenden”, problem-gesteuerten Lernens nachgewiesen und in seinem Sinne hatte ich, sofern dies möglich war, die letzten Jahre meiner Tätigkeit als Lehrer erfolgreich unterrichtet. Leider hatte ich allerdings schon damals erkennen müssen, dass sich entgegen der Annahme Aeblis längst nicht alle Unterrichtsgegenstände forschend erlernen lassen.
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Auch andere Widersprüche, die sich einerseits aus meiner praktischen Lehrtätigkeit andererseits aus theoretischen Studien ergaben, waren mir Anlass genug, einen neuen didaktischen Ansatz zu wagen:
- Offenes, freies und selbstverantwortliches Handeln der Schüler wurden allseits gefordert, hingegen auch die zielgerichtete und planvolle Steuerung durch den Lehrer.
- Derzeitige Lerntheorien wie Behaviourismus und Kognitive Lernpsychologie standen sich unvereinbar und unversöhnlich gegenüber
- Einerseits wurde Lernen in kleinen und übersichtlichen Schritten, andererseits problem-gesteuertes Lernen gefordert.
- Superzeichen-Theoretiker aus der Kybernetischen Pädagogik und Gestalt-Psychologen aus dem sonst feindselig gegenüberstehenden geisteswissenschaftlichen Lager beschworen gleichermaßen das Lernen in Zusammenhängen. Die Erfahrung aber zeigte, das sich in dieser Art gar nicht alles wirksam lernen ließ.
- Dennoch bekämpften sich ”Analytiker” und ”Ganzheitler” nicht nur im Lese-Schreib-Unterricht.
- Methodische Forderungen wie solche nach Projektunterricht, nach forschendem Lernen, nach Gruppenunterricht führten mal zu sehr guten Erfolgen, mal ließen sich Misserfolge kaum verheimlichen. Die Ursachen blieben ungeklärt.
- Derzeitige allgemein-didaktische Modelle ersetzten in zunehmendem Maße die bisherigen Unterrichtsmethoden in der Lehrerbildung. Sie sollten den Lehrern ein höheres ”theoretisches Bewusstsein” verleihen. Leider aber blieben sie praktisch ohne Nutzen für die tägliche Unterrichtsarbeit. Auch unterschieden sie nicht die völlig anders gearteten Situationen des Planens und Realisierens.
- Hinzu kam ein unerträglich un- oder pseudowissenschaftliches sprachliches Wirrwar. Was ein Lehrer als ”selbständiges Lernen” bezeichnete, war für einen anderen anspruchslos. Was bei einem Didaktiker ”Können” hieß, wurde bei einem anderen mit ”Fertigkeit”, bei einem dritten mit ”Fähigkeit” benannt. ”Sache” oder Unterrichts- ”Thema”, ”Inhalt”, ”Gehalt” oder ”Gegenstand” meinten einmal das, was die Schüler lernen sollten, ein andermal, an welchem Beispiel oder mit Hilfe dessen die Schüler etwas lernten.
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Um die genannten Mängel zu umgehen, mussten wir Modelle unterschiedlich gearteter Lernsituationen, unterschiedlicher Unterrichtsgegenstände und deren Abhängigkeiten, Modelle unterschiedlich anspruchsvoller und bewusster Lernprozesse und Modelle unterschiedlich schwieriger und komplexer Denkhandlungen aufbauen, vor allem aber die Zusammenhänge zwischen den Elementen dieser Modelle aufzeigen, so dass Studenten grundsätzliches Wissen darüber erhielten,
erlernbar sind.
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Theorie und Technik
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Mitarbeiter
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Kritik
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Planen und Verwirklichen völlig unterschiedlich
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Diese Modelle zu entwickeln und zu lehren, war ein komplexes und daher schwieriges Anliegen. Die kurze Zeit, die den Studenten einschließlich des Praktikums zur Verfügung stand, reichten allerdings nicht aus, um alle diese Zusammenhänge zu lernen. Und die Studenten sollten die Beziehungen ja nicht nur wissen, sondern sie umsetzen. Daher entwickelten KÖNIG und ich parallel zum Aufbau des Gesamt-Modells handlungs-technische Anleitungen zum Planen von Unterricht. Wir lehrten also nicht nur Unterrichts-Theorie sondern auch -Technik.
Alleine hätten wir diese Arbeit nicht leisten können, zumal wir gleichzeitig Studenten bei ihren unterrichts-”praktischen” Versuchen zu betreuen hatten. Den Kollegen INGEBORG BREYER und HEINRICH DRÄGER gebührt großer Dank für ihre zeitaufwendige Unterstützung bei der Entwicklung, vor allem aber bei der Erprobung dieser Techniken in den damals noch üblichen ”Didaktikums”-Semestern.
Der Aufbau eines technisch-didaktischen Instrumentariums, insbesondere das System der “Handlungsanweisungen” stand in krassem Gegensatz zu den Sichtweisen bisheriger allgemein-didaktischer Ansätze und brachte uns teils vernichtende Kritik ein. Schließlich will doch jeder Mensch, somit auch Lehrer und Schüler Freiheit nutzen. Wie konnten wir es wagen, technische Handlungsanweisungen zu geben, als wenn Unterricht maschinengleich und ”kausal” ohne Rücksicht auf die im Unterrichtsprozess Beteiligten abliefe? Diese Kritik entsprang selbstverständlich der teils auch heute noch üblichen Gewohnheit, Unterricht diffus-ganzheitlich zu betrachten. Das hieß, man unterschied nicht die grundsätzlich völlig verschiedenen Handlungen beim Planen und beim Verwirklichen. Planungsprozesse verlaufen völlig anders als Realisierungsprozesse. Das trifft für Unterricht wie für jede andere menschliche Handlung zu. NICOLAI HARTMANN (Einführung in die Philosophie, Henckel) hatte das schon 1949 deutlich gemacht, und spätestens seit KARL RAIMUND POPPER (Objektive Erkenntnis, Hoffmann und Campe, Hamburg. 1973/1974) weiß man noch viel genauer:
Das Planen entspricht einem deterministischen Vorgehen, ausgehend von einem zuvor gesetzten Ziel in Richtung auf den angenommenen Anfangs-Zustand. Daher sind hierfür technische Handlungsanweisungen nicht nur angebracht, sondern wegen der Fülle der zu verarbeitenden Informationen für den Anfänger äußerst hilfreich.
Das Realisieren von Unterricht dagegen vollzieht sich, wie es Popper auszudrücken pflegte, als ”plastisch gesteuertes” Geschehen, ausgehend vom Anfangszustand des Lernenden auf das geplante Ziel hin, wobei die Planung nur den immer veränderlichen Rahmen der Lehr- und Lernhandlungen abgibt, wo also Freiheiten jederzeit genutzt werden müssen - vom Lehrer wie vom Schüler.
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So entstanden die Bausteine der Systemischen Didaktik
- beeinflusst durch frühe Lehrerfahrung,
- aus der Enttäuschung über das Versagen von Unterrichtsmethoden,
- mit dem Ziel, unnötige Irrtümer zu vermeiden,
- in der Überwindung des klassifizierenden zugunsten des systemischen Denkens,
- aus der Würdigung der aktiv-suchenden Rolle des Schülers,
- aus der Erkenntnis über die Notwendigkeit von Techniken beim Planen,
- und der strikten Unterscheidung von Planungs- und Realisationsprozessen .
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Differenzierung in Colloquia
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Nachteile
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Vorteile
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Wenn auch bereits der erste Entwurf des Modells von 1969 schon einen recht hohen Grad an Differenzierung aufwies, so zeigte sich im Laufe der Anwendung des Modells in der Unterrichtspraxis und seiner Überprüfung durch empirische Untersuchungen immer wieder, dass jeweils einzelne Teilmodelle weiter differenziert werden mussten. Das Ende der siebziger Jahre eingeführte, wöchentlich stattfindende Colloquium zu Fragen der Systemischen Didaktik war der geeignete Ort, die Teil-Modelle zu diskutieren und weiter zu entwickeln. Ständige Gesprächspartner bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Universitätsdienst waren weiterhin ERNST KÖNIG, INGEBORG BREYER, HEINRICH DRÄGER, bald aber auch als einziger damals interessierter Fachdidaktiker HERBERT BREYER, später CHRISTEL SCHACHER.
Als Nachteil erwies sich bald, dass angesichts der viel zu geringen Zeiträume, die an der Technischen Universität für Allgemeine Didaktik zur Verfügung standen, nur noch ausgewählte Teilmodelle gelehrt werden konnten. Die Zukunft dürfte allerdings zeigen, dass es gerade der hohe Differenzierungsgrad ist, der das Modell besonders geeignet für die Ausbildung im Bereich des rechnergesteuerten Unterrichts bzw. ”elektronischen Lernens” macht.
Der größte Vorteil der starken Differenzierung erwies sich erst in der empirischen Forschung. In den achtziger Jahren war das System genügend erprobt und stabil, dass es sich lohnte, experimentelle Untersuchungen zur Überprüfung zentraler Aussagen der Systemischen Didaktik zu beginnen, übrigens ein Novum in der Allgemeinen Didaktik! Unermüdliche Unterstützung erhielt ich auch hier von INGEBORG BREYER, später auch von FRAUKE REICHARD. Die Ergebnisse wurden regelmäßig in den Grundlagenstudien aus Kybernetik und Geisteswissenschaft veröffentlicht.
Aufgrund des hohen Differenzierungsgrades unseres Didaktik-Modells konnten Forschungs-Probleme so genau formuliert und entsprechend sauber geprüft werden, dass u. a. sogar Experimente mit dem hohen Anspruch des Popperschen Falsifizierungs-Gedankens erfolgreich durchgeführt werden konnten, was bis dahin in der Unterrichtswissenschaft für unmöglich gehalten wurde.
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Hinweis für Leser, die sich erstmals mit der Systemischen Didaktik beschäftigen wollen:
Wenn Sie an wissenschaftstheoretischen Fragen weniger interessiert sind, können Sie sich am leichtesten in das Modell eindenken, wenn Sie - wegen der gegenseitigen Abhängigkeiten - etwa in folgender Reihenfolge vorgehen:
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- E. KÖNIG und H. RIEDEL: Skizze eines Systems zur sozio-technischen Objektivierung der Planung von Lernsituationen. Grundlagenstudien aus Kybernetik und Geisteswissenschaft 10/3/1969. - E. KÖNIG und H. RIEDEL: Systemtheoretische Didaktik.. Beltz, Weinheim u. Basel 1973. - H. RIEDEL: Standort und Anwendung der Systemtheoretischen Didaktik. Kösel. München, 1979. - H. RIEDEL: Systemtheoretische Didaktik. 4., stark überarbeitete Auflage. (Gemeinsam mit E. KÖNIG). Beltz, Weinheim u. Basel. Weinheim und Basel, 1979. - H. RIEDEL: Didatica e Pratica de Ensino. E.P.U. (Editora Pedagogica e Universitaria). Sao Paulo, 1981. - H. RIEDEL: Grundgedanken der Systemischen Didaktik. In: Lansky, M./Fiolova, I.: Bildungskybernetik in Forschung und Lehre. Kava-Pech. Prag, 1994 e, S. 51-92.
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